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01.12.2020

Rosskur für eine müde Demokratie

Am Ende fehlte nicht viel und die USA wäre die nächsten Jahre ins Chaos geschlittert. Mit weiteren vier Jahren Trump hätte die Demokratie schweren Schaden genommen, wenn sie es überhaupt überlebt hätte. Am Ende erhielt Trump ca. 47% der Stimmen, während sein Herausforderer Joe Biden auf 50,5% kam. Auch wenn dieser Tage immer noch über die angeblichen Fehleinschätzungen der Wahlumfragen gewettert wird, sind die Prognosen gar nicht so weit vom tatsächlichen Wahlausgang entfernt: Biden wurde vor der Wahl ein Vorsprung von 6-9% der Wählerstimmen vorhergesagt. Das es eng werden könnte, war im Vorfeld häufig zu hören.
Warum nun, ist der Wahlausgang so knapp? Das uralte Wahlmännersystem führte 2016 dazu, dass Hilary Clinton in der Präsidentschaftswahl unterlag, obwohl sie 3 Millionen mehr Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte. Trump hatte in einigen Bundesstaaten mit knapper Mehrheit gewonnen, während Clinton in vielen Staaten haushoch gewann. Am Ende zählt aber nicht die Summe der Stimmen, sondern nur die Mehrheiten in den einzelnen Bundesstaaten- egal wie hoch oder knapp diese auch ausfallen. Ironie der Geschichte: Biden siegte nunmehr mit 306 Wahlmännern, gegenüber 232 Wahlmännern, die Donald Trump für sich gewann. Damit widerholte sich exakt das Wahlergebnis von 2016, nur sprach Trump damals von einem “erdrutschartigen Sieg” über die Demokraten, was angesichts der absoluten Wählerstimmen bereits seine erste Lüge als neu gewählter Präsident gewesen ist.
Das US-Wahlsystem ist anfällig für Manipulationen, wie u.a. die sogenannte „Red Map“ des 2018 verstorbenen Republikaners Dr. Hofeller zeigt. Das Recht, Wahlkreise einzuteilen, obliegt der jeweils regierenden Partei des Bundestaates. Hier haben die Republikaner bereits vor Jahren begonnen, Wahlkreise zu ihren Gunsten zu formieren. So erhielten beispielsweise bei den Wahlen in Pennsylvania und Wisconsin die Demokraten deutlich über 50% der Wählerstimmen, dennoch regierten die Republikaner weiter, da die Wahlkreise vorab zu ihren Gunsten strukturiert wurden: Demokratische Ballungszentren wurden bis in die Häuserzeilen hinein analysiert und entweder als demokratische Hochburg isoliert oder so auf die Nachbarwahlkreise verteilt, dass die Demokraten in der Minderheit blieben. Dieses “Red Mapping” erklärt auch die rote Dominanz jenseits der Küstenregionen und Metropolen der USA.
Demokratie lebt von Mehrheiten- diese können jedoch nach dem amerikanischen Wahlrecht umgangen werden- wovon die Republikaner massig Gebrauch machten. Ein Sargnagel für die Demokratie!
So hätte Joe Biden die Wahl trotz 3,5% mehr Wählerstimmen also auch verlieren können: „Every Vote counts!“? Mitnichten liebe Amis!

In der viel diskutierten Person des Donald Trump liegt eine weitere Gefahr für die US-Demokratie. 2016 schwörte Trump einen Eid auf die Verfassung, während seine Hand auf einer Bibel ruhte. In den nächsten vier Jahren tat er alles, um eben diese Demokratie zu beschädigen und gleichermaßen biblische Werte mit Füßen zu treten. Ein Misstrauensvotum (=„Empeachment- Verfahren“) scheiterte vor allem an den individuellen politischen Machtinteressen der Republikaner. Im Falle einer zweiten Amtszeit wäre Trump in den autokratischen Olymp auf gleiche Höhe mit Putin, Erdogan oder Bolsonaro aufgestiegen. Seine Abwahl ist allenfalls der Karriereknick eines vorerst gescheiterten Tyrannen aber keineswegs der finale Sieg der Demokratie über eine anbahnende Diktatur. Dabei ist die beispiellos hohe Wahlbeteiligung in den USA eher kritisch zu sehen: Gerade die Mobilisierung der republikanischen Massen erfolgte im Rahmen eines aufgepeitschten Personenkultes um den Präsidenten herum. Eine beinahe schon messianische Erwartung, die viele republikanische Wähler mit diesem Mann nach wie vor in Verbindung bringen. Es wäre besser für die Demokratie gewesen, wenn ein Großteil dieser bis unter die Zähne bewaffneten Gefolgschaft des Präsidenten in ihren Bunkern geblieben wären und nicht gewählt hätten.

Absolut erschreckend, wie diese einst so mächtige Demokratie, das „Flagg-Schiff“ des Westens, innerhalb von 4 Jahren an den Rand der Rechtstaatlichkeit gelangt ist. Und es kann jederzeit wieder passieren. Donald Trump hat auf Twitter nach wie vor 88 Millionen Follower, die er durch Lügen manipulieren kann. Er wird in den nächsten Jahren ein Störfaktor für die US-Demokratie bleiben und im schlimmsten Fall 2024 erneut kandidieren. Momentan bemüht er sich, durch unüberlegte Truppenabzüge, Begnadigung von Komplizen, Corona- Untätigkeit und eilig angeordnete Todesurteile auf Bundesebene ein möglichst großes Schlachtfeld für seinen Nachfolger zu überlassen. „Make Amerika great again!“: Ein großes Amerika gibt es nur mit einem noch größerem Trump! Ohne Trump kein glorreiches Amerika! So brachial ist die Logik eines scheidenden Präsidenten, der alle Voraussetzungen eines Dispoten erfüllt.

Aktuell entsteht die neue Ausstellung „Leben unterm Hakenkreuz“. Dem Bekenntnis Kants, dass die Menschheit sich gegenseitig zum Guten erzieht, widersprechen die aktuellen Ereignisse in den USA. Die Menschheit lernt nichts aus den Verfehlungen der Vergangenheit. Das dunkle Kapitel der Sklaverei hat die amerikanische Gesellschaft bis heute nicht aufgearbeitet. Ein paar Jahrzehnte reichen ebenso, um die dunkle Vergangenheit des Nationalsozialismus in unseren Breiten zu verklären und zu bagatellisieren. Und während die letzten Holocaustüberlebenden sterben, machen sich Autokraten weltweit an die Arbeit, Gesellschaften zu spalten, Feindbilder zu erzeugen und der Gewalt freien Lauf zu lassen. Donald Trump wurde mit letzter Kraft einer marodierten, unterwanderten Demokratie vorerst gestoppt – nicht mehr und nicht weniger.

Wie kann Demokratie gefördert werden?
Wenn das Volk herrscht, kann das nur bedeuten, dass es ein Mehrheitswahlrecht gibt. Solange die USA darauf verzichten, wird es immer wieder zu derartigen Verzerrungen kommen, wie wir sie dieser Tage in den USA beobachten.
Unterwanderungen der Demokratie, wie die oben genannten republikanischen Wahlkreiseinteilungen der „Red Maps“ sind unverzüglich vom Supreme Court zu stoppen. Sie sind Gift für den Rechtsstaat!
Das „2nd Amendment“ spricht jedem US-Bürger das Recht zu, Waffen zu tragen. Dieses Recht stammt noch aus einer Zeit, in der es Frontlader gab, die mühsam nachgeladen wurden und ca. alle 2 Minuten einen Schuss abgeben konnten. Völlig ungeeignet, damit Amok zu laufen! Heute wird dieses Recht von den Waffenlobbyisten völlig unkritisch auf halb- und sogar vollautomatische Waffen übertragen. Die fatalen Folgen sehen wir heute in der amerikanischen Gesellschaft: Amokläufe und Hochgerüstete Bürgermilizen, die sich als rote und blaue Armee feindlich gegenüberstehen.
Mit einem Instrument wie der in Deutschland bekannten „Normenkontrollklage“ müssen gesellschaftliche Entwicklungen immer wieder mit dem eigentlichen Inhalt der Verfassung abgeglichen werden. Im Konfliktfall kann es nicht darum gehen, perse die Verfassung zu ändern- es sollte viel mehr um die Frage gehen, ob die Verfassung noch die oberste Norm der jeweiligen Gesellschaft ist. Auch unser Umgang mit dem Grundgesetz wirft hier an verschiedenen Stellen Fragen auf: Bei dem Beginn der Menschenwürde (Art. 1), dem Leitbild von Ehe und Familie (Art.6) oder dem Bekenntnis des deutschen Volkes, dem Frieden der Welt zu dienen (Präambel). Im Rahmen der Grundgesetzausstellung verweisen die Reiseleiter auf diese offenen Brüche mit unserer Verfassung. Ein Spot bildet den “Boden des Grundgesetzes”. Was bedeutet angesichts aktueller gesellschaftlicher Diskussionen, auf eben diesem Boden zu stehen? Ist das Grundgesetz nur noch Mittel zum Zweck- oder auch heute noch die oberste normative Kraft aller Menschen, die in Deutschland leben?

Braucht auch unsere Demokratie eine Rosskur?
In der Grundgesetzausstellung werden die Reiseleiter nicht müde, die Vorzüge und Ausgewogenheit unserer Verfassung zu betonen. Im Gegensatz zur „American Constitution“ regelt unser Grundgesetz in Artikel 54-61 das Amt des Bundespräsidenten nicht als Macht- sondern Ausgleichsamt. Hier wird auch das Procedere festgelegt, wenn nach einer Bundestagswahl keine mehrheitsfähige Regierung zustande kommt. Der Bundespräsident bekommt nun eine besondere Macht, die jedoch zeitlich an die Situation gebunden ist.
Das erste Mal in der Nachkriegszeit fand sich mit Frank Walter Steinmeier ein Bundespräsident in der Verantwortung wieder, ein Machtvakuum zu verhindern: Er rief an den runden Tisch, vermittelte und hätte im Ernstfall Neuwahlen oder eine Minderheitsregierung ernennen können.
Überhaupt lässt sich über unsere Gewaltenverschränkung der verschiedenen Verfassungsorgane sagen, dass sie stärker als in anderen Demokratien ineinander verwoben sind und dass ein starkes Präsidialamt, wie beispielsweise in Frankreich, der Türkei oder den USA fehlt. Daher sind jegliche Vorwürfe, wir würden uns in einer Diktatur befinden, schlichtweg Schwachsinn.

Eine Gesellschaft sollte nicht zuletzt auch ein Interesse an den Biographien ihrer Volksvertreter haben. Bei Donald Trump war doch schon im Vorfeld seiner Präsidentschaft ziemlich sicher, wie er die Vereinigten Staaten leiten wird: Wie eine Firma, die einen beratungsresistenten und korrupten Chef hat, der Menschen wie nutzbares oder unnützes Material behandelt und bis in seine Ehen hinein “Deals” aushandelt, die nur den einen Zweck erfüllen, seine Macht auszubauen. Selbstverständlich spielt daher auch die Biographie und das Weltbild einer Kanzlerin eine entscheidende Rolle für die Geschicke unserer Gesellschaft auch wenn Frau Merkel weitaus weniger Macht besitzt, als der US Präsident. Aus meiner Sicht hat unsere Kanzlerin in guter Weise ihr Weltbild in die politische Verantwortung übertragen. So umstritten viele Ihrer Entscheidungen auch gewesen sein mögen: Ich kann ihr abnehmen, nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt zu haben. Vielfach schimmert die ethisch geschärfte Pastorentochter durch. Diesbezüglich liegt die Latte hoch, für den nächsten Kanzler. Auch das Umfeld zukünftiger politischer Verantwortungsträger spielt eine große Rolle. Neben den bereits bekannten nationalistischen Beratern des US Präsidenten war Paula White seine geistliche Beraterin. Sie gehört der evangelikalen Bewegung des “Wohlstandsevangeliums” an. Demnach bilden Wohlstand, Macht und Gesundheit ein erfolgreiches christliches Leben ab. Hier tankte Herr Trump seine geistliche Legitimation regelmäßig auf: “Du bist reich, mächtig und gesund! Du hast alles richtig gemacht! Gott hat Freude an Dir!” Was für eine unheilvolle Allianz zwischen Staat und Kirche, die zumindest im Ansatz an das Reichskonkordat von 1933 erinnert.  

Unsere Demokratie braucht auch in diesen Tagen Hüter und Wächter, die mahnen, verbinden und zuhören, um Spaltung zu überwinden. Wir haben immer noch eine starke, wehrhafte Verfassung. Ob das so bleibt, hängt vor allem an uns und daran, ob nachfolgende Generationen das Grundgesetz wertschätzen werden. Mit der Grundgesetzausstellung möchte ich einen Beitrag leisten, Demokratie zu fördern, Zusammenhalt zu beschwören und uralte jüdisch- christliche Verfassungswerte neu ins Bewusstsein zu rufen und den Besuchern ans Herz zu legen. Demokratie ist anstrengend- aber es gibt keine bessere Gesellschaftsform, in der Menschen jemals auf dieser Erde zusammengelebt haben. Demokratie ist es wert, dass wir uns für sie einsetzen.

Tim Behrensmeier - 11:58:28 @ Grundgesetz im Gespräch