Bringen Sie Ihre Botschaft "unters Volk"

27.11.2020

Vom Wesen der Demokratie und einem fragwürdigen Urteil zur Volksverhetzung

Wir leben inmitten einer Empörungsgesellschaft. Die sozialen Medien verleiten dazu, immer radikalere Begriffe im politischen und gesellschaftlichen Diskurs zu verwenden. Diese Tendenzen sind auch an mir nicht spurlos vorübergegangen. Facebook, Twitter und Co. machen es leicht, die eigene Meinung in die Weiten des Internets hinauszupusten, während die Sitten im Umgang mit Andersdenkenden zunehmend verfallen. Meine persönliche Konsequenz: Abschied von den sozialen Medien seit dem Corona-Sommer. Anfangs hatte ich noch Bedenken, nunmehr von gesellschaftlichen Diskussionen abgeschnitten zu werden. Heute stelle ich fest, dass dieser Schritt richtig war und der Respekt anderen Menschen gegenüber zurückkehrt. Mehr noch: Meine Fähigkeit, andere Überzeugungen auszuhalten wächst, seitdem ich nicht mehr auf „likes“ und „Follower“ angewiesen bin.
Im Rahmen der Ausstellungen kommt es häufig zu Begegnungen mit radikalisierten Besuchern, die oftmals auch das Grundgesetz in Frage stellen: Links- und Rechtsradikale, Impfgegner, DDR- Nostalgiker, Verschwörungstheoretiker, bekennende AFD Wähler- eine wachsende Gruppe unserer Gesellschaft verabschiedet sich zunehmend von den Grundwerten unserer Verfassung. Wie gehe ich mit ihnen um? Lasse ich sie fallen? Halte ich mit dem Bollwerk rechtsstaatlicher Überzeugungen dagegen? Bin ich Anwalt der etablierten Politik in Berlin? All das wird niemanden zurückgewinnen! Der Blick fällt auf eine Station der Grundgesetzausstellung, die im Rahmen der drei Leuchthügel nach Theodor Heuss die Fundamente unseres Miteinanders definieren: Unter der Akropolis, dem Wahrzeichen der Demokratie ist ein altes Telefon, dessen Hörer uns daran erinnert, dass nur wenige Löcher auf der Sprechseite sind, viele dagegen auf der Hörerseite.
Und so möchte ich zunächst hören, welche Erfahrungen und Geschichten Menschen mitbringen, die in die Ausstellungen kommen. Durch die Inhalte der Exponate bricht vieles auf: Der verloren gegangene Kinderglaube, die wehmütigen Erinnerungen an frühere „bessere“ Zeiten, persönliche Schicksalsschläge, krumme Lebenslinien- all das formt Menschen auch in ihrer weltanschaulichen, gesellschaftlichen und politischen Überzeugung. An dieser Stelle kann ich andocken und nach dem Zuhören auch meine Überzeugungen ins Spiel bringen. Plötzlich begegnen sich Menschen auf Augenhöhe und versuchen einander zu verstehen. Daher ist es ungemein wichtig, dass nach den Führungen Kaffee und Kuchen in einem gemütlichen Ambiente bereit stehen. Es ist beinahe unmöglich, sein Gegenüber mit einer Tasse Kaffee in der Hand anzubrüllen und zu beleidigen. Diese Erfahrung ist übrigens nicht neu- sie findet sich bereits im Psalm 23: „Du bereitest mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde“. Nach diesem 3000 Jahre alten Bibelwort lebten bereits die Patriarchen samt Ihren Familien (vgl. 1. Buch Mose). Sie wussten darum, dass Gott die Möglichkeit der Versöhnung schenkt. Er deckt den Tisch, für meine Feinde und für mich- und dann heißt es, miteinander essen, reden, austauschen, verstehen, Friedenstiften. Auch mit dem Abendmahl tauchen Christen auf der ganzen Welt regelmäßig in diese Welt des Friedenstiftens ein- Frieden mit Gott und mit meinem Feind, der biblisch gesehen mein Nächster ist.
Leider wird dieses Leitbild des Friedenstiftens zunehmend angefochten: Seit vielen Jahren fordern verschiedene Kräfte die Absetzung des Bremer Pastors Olaf Latzel, der in der Martini-Gemeinde seinen Dienst tut. Seine Amtskollegen scheuten nicht davor zurück, sich im Talar unter Demonstrationen gegen den umstrittenen Pastor zu mischen. Hier offenbart sich, was passiert, wenn wir den Auftrag des Friedenstiftens aus den Augen verlieren: Sich selbst als gemäßigt bezeichnende Theologen radikalisieren sich und rufen Teile der Gesellschaft zur Hexenjagd gegen Olaf Latzel auf. Was ist sein Vergehen? Vor Jahren vertrat er die Ansicht, dass kirchliche Kindergärten nicht das muslimische Zuckerfest feiern sollten, sondern sich primär auf die Vermittlung des christlichen Glaubens zu konzentrieren haben. Ferner verkündigt er gemäß der Bibel und der Bekenntnisschriften seiner Landeskirche das Evangelium von der Errettung aus Schuld durch den Opfertod Jesu Christi am Kreuz von Golgatha. Gestern nun, wurde er wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Im vergangenen Jahr hatte Latzel im Rahmen eines Eheseminars vor zwei Dutzend Paaren geäußert, dass Homosexualität Sünde sei. Er differenziert hier nach biblischer Überzeugung zwischen Sünder und Sünde. In diesem Zusammenhang regte er sich über die „Verbrecher“ auf, die immer wieder Gottesdienste stören, vor der Kirche randalieren und die Gottesdienstbesucher beleidigen. Die Richterin warf ihm vor, in einer Dürre ein Streichholz zu entzünden und gegen Homosexuelle aufzuhetzen. Nebenbei sei bemerkt, dass die Verkündigung von Pastor Latzel schon seit Jahren von seinen Gegnern genauestens seziert wird, um Maßnahmen gegen ihn einzuleiten. Während die Martinigemeinde gut besucht ist, predigen seine Amtskollegen allzu oft vor leeren Bänken- ein Schelm, wer Böses dabei denkt….
Anders als einige seiner Amtskollegen fühlt sich Pastor Latzel dem biblischen Leitbild von Ehe und Familie verpflichtet- welches dem Wesen nach übrigens auch in Artikel 6 des Grundgesetzes und der Weimarer Verfassung Art. 119 als Vorlage des Grundgesetzes verankert ist. Darüber hinaus hat er sehr wohl das Recht, Homosexualität als „Sünde“ zu bezeichnen, solange er nicht dazu aufruft, Homosexuelle zu bekämpfen.
Der Richterin sei gesagt, dass es ein Grundrecht darauf gibt, das, was andere tun, nicht uneingeschränkt toll zu finden (Vgl. Art. 5 GG). Daher ist dieses Urteil ein Skandal und eine Aushöhlung des Rechtsstaates. Im Übrigen haben auch die Gegner von Pastor Latzel ein Grundrecht darauf, vor der Kirche angemeldet und friedlich zu demonstrieren. Erst wenn die gegenseitigen Rechte anerkannt werden, kann es zu einem Austausch kommen. Das jedoch vor allem Kirchenvertreter seiner eigenen Landeskirche seit Jahren eine Atmosphäre der Feindschaft schüren, darf befremden und traurig machen. Indifferenz zur Mehrheitsgesellschaft scheint nicht nur hier zur neuen Gottheit zu avancieren.

Themenwechsel: Die jüngst beschlossene Änderung des Infektionsschutzgesetzes gibt der Regierung mehr Handlungsfreiheit, um die Pandemie zu bekämpfen. Diese Rechte sind zeitlich befristet und sollen verhindern, dass sinnvolle Maßnahmen nicht sogleich von Gerichten kassiert werden. Auch wenn die Änderungen in Teilen verbesserungswürdig sind, teile ich die Überzeugung, dass es einen starken handlungsfähigen Staat in der Krise braucht. 
Schnell greift die social-media beschwipste Gegnerschaft das Geschehen auf und behauptet lapidar, es handele sich hierbei um ein neues „Ermächtigungsgesetz“. Folglich gleichen alle verantwortlichen Politiker machtgierigen Nationalsozialisten, welche eine Diktatur errichten wollen. Deutlicher können diese Stimmen der Demokratie nicht ins Gesicht spucken!
Ebenso auch jene 22-jährige Dame, die sich in Hannover auf der Bühne der Querdenker Bewegung mit Sophie Scholl verglich und lauten Beifall erntete. Wer hat hier versagt? Das Elternhaus? Die Geschichtslehrer? Die Gesellschaft? Die ausbleibende Antwort auf die Ursache macht mir Sorgen und ich fürchte, hier hilft auch ein gemeinsamer Kaffee nicht mehr weiter…

Wer ist nun eigentlich der Volksverhetzer?
Jemand der in einer weltanschaulich nicht neutralen Institution dient und im Rahmen von Bibel und Bekenntnis innerhalb seiner Kirche Homosexualität als Sünde bezeichnet und klar vom Sünder trennt?
ODER
Wer mit brauner Sprache Politik und Gesellschaft diffamiert und unter Beifall einer aufgepeitschten Menge den Rechtsstaat als Diktatur verunglimpft?

An dieser Stelle mache ich mir Sorgen! Wir verurteilen die Falschen!

Tim Behrensmeier - 12:29:57 @ Grundgesetz im Gespräch