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19.08.2020

Von der Demut eines Sportmediziners und des Grundgesetzes

Es war eine eher beiläufige Entdeckung bei der gestrigen Sendung von Markus Lanz: Herr Müller-Wohlfahrt, ehemaliger Mannschaftsarzt von Bayern München und der Nationalmannschaft lüftet auf Nachfrage ein über Jahrzehnte gehütetes Geheimnis: Bevor er einen Spitzensportler auf mögliche Muskelverletzungen untersucht, schließt er die Augen und betet. Der Sohn eines ostfriesischen Pastors weiß um seine Fehlbarkeit und bittet Gott darum, die richtige Diagnose zu fällen und dem Patienten zu helfen.
Gebet als Demutsfaktor, oder wie es in frommen Kreisen heißt: Der Mensch denkt und Gott lenkt.
Diese Demut wohnt auch der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes inne. Nach blutigen Kriegen, wie dem deutsch- französischen Bruderkrieg von 1870/1, vielen Scharmützeln in der unrühmlichen deutschen Kolonialgeschichte sowie den zwei Weltkriegen des 20. Jahrhunderts bekennt sich eine leidgeprüfte Generation zu eben dieser Demut im Gebet. Woran wird das deutlich?
Als am 23. Mai 1949 das Grundgesetz nach 9 Monaten harter Arbeit aus der Taufe gehoben wurde, standen die 65 Mitglieder des Parlamentarischen Rates auf und sangen die sogenannte Ersatzhymne, die noch bis 1952 gesungen wurde (Auszüge):

„Ich hab mich ergeben, mit Herz und mit Hand
Dir, Land voll Lieb und Leben, mein deutsches Vaterland!

Du Land, reich an Ruhme, wo Luther erstand,
für deines Volkes Tume reich ich mein Herz und Hand.

Will halten und glauben an Gott fromm und frei,
will Vaterland, dir bleiben auf ewig fest und treu.“

Dieses Lied von Hans-Ferdinand Maßmann stammt von 1820 und hat auch Strophen, die den christlichen Glauben als Siegeszeichen der Überlegenheit über andere Völker missbrauchen.
Vor 71 Jahren wurden jedoch nur die Verse gesungen, welche sich auf das reiche reformatorische Erbe, der Suche nach Wahrheit und der Rechtfertigung vor einem Gott der Geschichte berufen - und damit Weg von der Überheblichkeit in die Demut führen. 

So weisen auch die einleitenden Verse der Präambel auf eben diese Demutshaltung hin: „Im Bewußtsein unserer Verantwortung vor Gott und dem Menschen…“

Dieses Bekenntnis wirkt in der heutigen, stark säkularisierten Gesellschaft wie ein Fremdkörper, ja wie ein Stachel im Fleisch, den viele Entscheidungsträger unserer Tage gerne übersehen oder auch als historisches Monstrum einer längst vergangenen Zeit abtun.

Aber ist die Verantwortung vor einer unabhängigen Instanz, bzw. vor einem Gott der Geschichte nicht etwas, was uns in die Freiheit führt? Wenn meine Entscheidungen nicht ausschließlich von eigenem Kalkül und Machterhaltung getrieben werden? Wenn ich um meine eigene Fehlbarkeit weiß und im Gebet Gott darum bitte, dass er die Lücken füllt und meine Entscheidungen weise, nachhaltig und segensreich für andere werden lässt?

Unsere Welt ist dieser voll von eigenmächtigen Dispoten und Tyrannen von knechtenden Ideologien und Denkverboten, von Hass auf andere und zügellosen Allmachtsphantasien.

In der Demut vor Gott klingt ein Gebet und entfaltet Raum für die Würde des Menschen. Immer wieder erkennt der Beter seine eigene Fehlbarkeit und erweitert seinen Horizont durch Eindrücke und Weisungen von außen. Er weiß um seine Abhängigkeit von Gott und anderen.

Dieses Selbstverständnis ist auch in einer hoch technologisierten, aufgeklärten und wissenschaftsgläubigen Gesellschaft kein Fremdkörper- sondern eine absolute Notwendigkeit.
Nichts braucht unsere Gesellschaft mehr, als diese (fromme) Demut!

Tim Behrensmeier - 12:15:48 @ Grundgesetz im Gespräch