06.11.2020
Liebe evangelikale Trumpwähler der USA,
ehrlich- ich mag Euch. Als ich 1990 für ein Jahr mit einigen von Euch leben durfte, hat das mein ganzes weiteres Leben geprägt und verändert. Eure Liebe, Treue und Ehrlichkeit haben mich so sehr beeindruckt, dass ich mich auf die Suche machte nach dem einen, auf den Ihr in Euren Gottesdiensten, Hauskreisen und Bibelstunden immer wieder hingewiesen habt. Ich fand ihn- oder richtiger – er fand mich, 1993. Ich übergab mein Leben Jesus, wurde Christ und teile seither Euer Bekenntnis zur Bibel als „dem einen Wort Gottes, dem wir im Leben, wie im Sterben zu vertrauen haben“ (vgl. Barmer Erklärung) Auch ich bin in meiner Ausrichtung ein sogenannter „Evangelikaler“ und wundere mich seit vier Jahren, weshalb Ihr als wohl größter Wählerblock der USA 25-30% der Gefolgschaft eines Präsidenten ausmacht, der all Eure Werte mit Füßen tritt. Trump hat Euch gekauft. Die Besetzung des Supreme - Courts mit konservativen Richtern und die Aussicht auf eine Eindämmung der Abtreibungen waren im Wesentlichen seine Versprechen an Euch. Im Gegenzug habt Ihr eine Gebetstraube um diesen Mann gebildet und in Euren (Mega-) Churches dazu aufgerufen, ihn zu wählen. Die Versprechungen sind für evangelikale Ohren durchaus verlockend- auch ich wünsche mir ein stärkeres Bekenntnis zur uneingeschränkten Menschenwürde, die nach unserem Grundgesetz bereits im Mutterleib beginnt (vgl.BVerfG, 28.05.1993 - 2 BvF 2/90). Ebenso hätte ich gerne konservative Richter, die von jüdisch-christlichen Werten geleitet werden.
Es waren Eure gottesfürchtigen Vorfahren, die als prägende Besatzungsmacht einer am Boden liegenden nachkriegsdeutschen Gesellschaft wieder aufhalfen. So setzten sich nicht die Befürworter des Morgenthauplanes durch, die aus Deutschland am liebsten eine grüne Wiese ohne Industrie gemacht hätten. Ihr ward bereit, zu vergeben und an die Demokratiefähigkeit der Deutschen zu glauben. Auf den “Care-Paketen” stand oftmals „God bless You!“. Euer Sieg über den Nationalsozialismus und Eure Empathie wurden zum Segen für unser Land und bereitete den Boden für ein vereintes Europa. Der große gemeinsame Nenner unserer beiden Kulturen ist die Gottesfurcht, welche im jüdisch- christlichen Glauben wurzelt. Unsere beiden Verfassungen gründen in einer bewussten Verantwortung vor einem Gott der Geschichte.
Es war Euer General Clay, Militärgoverneur und der damals wohl mächtigste Mann in Europa, der 1950 die Freiheitsglocke im Berliner Schöneberger Rathaus übergab. Mit dieser Glocke wurde das Freiheitsgelöbnis und das Widerstandsrecht nach Art. 20 des Grundgesetzes verbunden welche noch Jahre nach Kriegsende über Radio Rias als tägliche “Andacht” gesendet wurden. Die übersetze Inschrift der Glocke lautet: „Möge Gott es schenken, dass diese Welt eine Widergeburt der Freiheit erlebt“. Da haben wir es wieder: Das gemeinsame Bekenntnis zu einem Gott der Geschichte, aber auch der sehnlichste Wunsch, dass die gesamte Welt aus den Verfehlungen des Nationalsozialismus lernt und die Würde des Menschen nie wieder mit Füßen getreten wird.
Von diesem gottesfürchtigen Bekenntnis ist nach vier Jahren Donald Trump wenig geblieben. Daher erlaube ich mir, auch mit der Grundgesetzausstellung an diese tiefe Freundschaft unserer Nationen zu erinnern, da dieses Vermächtnis droht, zunehmend in Vergessenheit zu geraten. Und das in einer Zeit, in der immer weniger Zeitzeugen dies- und jenseits des Atlantiks davon berichten können. Immer, wenn Menschen (Gott) vergessen, droht Ungemach.
Bereits im Buch Exodus (2.Buch Mose) lesen wir gleich zu Beginn, wohin das Vergessen der Segnungen führt: Ein neuer Pharao kam an die Macht- der wusste nichts mehr, von der weit zurückliegenden guten Verbindung Ägyptens zu Josef und seiner Sippe. Die Folge: Sklaverei, Manipulation, Fehlinformationen, Ängste, Diskriminierung und Gewalt. Möge uns dieses Schicksal erspart bleiben!
An dem Punkt steht Eure ehemals so wunderbare Nation dieser Tage. „Amerika first“ in seiner radikalsten Form wird von einem Ellbogenpräsidenten eingesetzt, über dem Ihr seit vier Jahren die Hände haltet. Trump spaltet, belügt, feuert, beleidigt und diskriminiert weite Teile Eurer Gesellschaft und der übrigen Welt. Er steht in keinster Weise für jüdisch- christliche Werte und sieht in Euch lediglich Steigbügelhalter auf dem Weg zur autoritären Macht. Wenn er Euch nicht mehr braucht, wird er Euch ausspucken und Eure Demokratie vernichten. Bereits jetzt sind ihm die Tyrannen dieser Welt wichtiger, als seine westlichen Bündnispartner.
Der Personenkult um Donald Trump ist keineswegs beispiellos. Es war ein ehemaliger österreichischer Gefreiter des 1. Weltkrieges, der die „Schmach des Versailler Vertrages“ nutzte, um sich Gehör zu verschaffen. Mit „Germany first“ (=“Deutschland über alles!“) trieb er den Spaltkeil durch Europa, hetzte gegen Minderheiten und erzeugte mit zahlreichen Lügen ein gemeinsames Feindbild samt menschenverachtender Verschwörungstheorie: Das internationale Judentum.
Jüngst äußerte sich Trumps Sohn: „Das Beste für Amerikas Zukunft ist, dass @realDonaldTrump in den totalen Krieg um diese Wahl zieht“ Diese Rhetorik weist praktisch keine Unterschiede mehr zur nationalsozialistischen Propaganda des Josef Goebbels auf.
Trump bindet Menschen an seine Person, er duldet keinen Widerspruch und bedient sich demokratischer Mittel nur so lange, wie sie ihm nützen.
Es ist absolut erschreckend, dass ausgerechnet Ihr diesem Tyrannen die Treue geschworen habt. Auch Hitler hat die „Deutschen Christen“ getäuscht und anfangs auch noch viele Vertreter der (späteren) „Bekennenden Kirche“ um den Finger gewickelt, bis es zu spät war. Unser evangelikales Bekenntnis ist freilich ein anderes: Auf dem Thron unseres Herzens ist nur Platz für Jesus! Wir leben auf dieser Welt nicht als Erfüllungsgehilfen der Tyrannen, sondern als liebendes, diakonisches Gottesvolk, welches den Schwachen dient und den Mächtigen dieser Welt die Stirn bietet. Deshalb kehrt zurück zu der seelsorgerlichen Begleitung Eurer Präsidenten, so wie es Billy Graham, der mit Martin Luther King befreundete Erweckungsprediger mit diversen Präsidenten vorlebte. Er hielt sich hierbei an die Regeln des „Modesto Manifestes“: Ehrlichkeit, Integrität, Reinheit und Demut. Diese biblischen Tugenden sind zugleich auch das Tragwerk Eurer “Constitution” (=Verfassung).
Meine Bitte an Euch: Betet dafür, dass Trump sich nicht weitere vier Jahre an Eurer Nation und der ganzen Welt versündigen kann. Betet für einen Wahlsieg von „Sleepy Joe“ der genau die heilende Wirkung für Eure Gesellschaft haben könnte, welche Nachkriegsdeutschland in Gestalt des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss erlebte. Genau wie Joe Biden war Heuss kein großer Charismatiker und erst recht kein Evangelikaler. Beide sind ähnlich: Weise ältere Männer, die in väterlicher Weise Trösten können, durchdrungen von persönlichem Leid und Überwindung- empathisch, demütig und hoffnungsvoll mit dem Bestreben, Präsidenten der gesamten Nation zu sein. Könnte Joe Biden am Ende der sein, den Gott berufen hat, Eure Nationen zu einen und zu trösten?
Und so grüße ich Euch aus der Ferne über den Atlantik, brüderlich im Glauben und einladend zum Werk mit 1.Thess. 5,21-22:
“Prüfet aber alles, und das Gute behaltet. Meidet allen bösen Schein.”
Anmerkung: Die Bedeutung der deutsch- amerikanischen Freundschaft hat in der Grundgesetzausstellung eine herausragende Bedeutung. Die Grundlage dieser Freundschaft liegt in der historischen Gottesfurcht des jüdisch-christlichen Glaubens. Gerade unsere heutige, stark säkularisierte Gesellschaft hat das zunehmend vergessen. Während bei uns die „Volks“- Kirchen fast schon keine mehr sind, wächst die evangelikale Szene in den USA. Seit der Reagan Administration in den 80er Jahren nehmen die Evangelikalen wachsenden Einfluss auf das politische Geschehen. Mir ist an dieser Stelle wichtig: Religion ist treibende Kraft vieler Entwicklungen von Gesellschaften- zum Guten, wie zum Schlechten. Und doch stehen wir den Gefahren für unseren Rechtsstaat nicht hilflos gegenüber- Die aktuelle Lage in den USA zeigt: im gegenseitigen Erinnern liegt der Schlüssel zur Demokratiebewahrung- in den USA sowie in Deutschland.
Tim Behrensmeier - 13:09:08 @ Grundgesetz im Gespräch