28.04.2020
Vom Totentanz der Ungeduldsjünger und der Harmonie unserer Grundrechte
Wir waren in der einmaligen Lage, bestimmen zu können, auf welchem Niveau wir lernen müssen, mit dem Virus zu leben. Hätte der Shutdown zwei Wochen länger gedauert, wären Infektionsketten, ähnlich wie in Südkorea, wieder nachvollziehbarer und die Pandemie wäre auf einem niedrigen Niveau eingedämmt worden. Lautstarke “Ungeduldsjünger” haben sich durch vorschnelle Forderungen nach dem alten Leben und dem hochfahren der Wirtschaft nun dafür entschieden, dass WIR ALLE (!) auf hohem Niveau lernen müssen, mit der Krankheit zu leben. Vielen Dank dafür :-(
Die Reproduktionszahl steigt und weist den Blick in die Zukunft:
Anstelle von Lockerungen, steht in wenigen Wochen der nächste Shutdown direkt bevor.
Anstelle eines entspannten Gesundheitssystem, welches auch in Corona - Zeiten wieder reguläre OPs durchführen kann, werden wir erleben, wie uns die zweite Infektionswelle im Sommer mit voller Wucht deutschlandweit trifft und die Kapazitäten höchstwahrscheinlich nicht ausreichen werden.
Anstelle von langfristigem Schutz für unsere Kranken und Schwachen riskieren wir ihr Leben und unsere Gesundheit weitaus mehr- und das völlig unnötig.
Anstelle einer beständigen Rückkehr in das öffentliche Leben und den Wirtschaftsbetrieb wird dieser nun “auf Kante genäht” und eine ängstliche Verunsicherung im täglichen Leben auslösen…
Wer ist schuld? In dem Fall mal nicht die verantwortliche Politik- sondern jene, die meinen, wirtschaftliche Interessen gegen ein Recht auf Leben ausspielen zu müssen. Jene, die klagewütig vor die Gerichte ziehen und die bisherigen Maßnahmen ad absurdum führen. Auch Wolfgang Schäuble relativierte jüngst das Lebensrecht mit dem Verweis, dass die Würde des Menschen zwar unantastbar sei, aber jeder Mensch einmal sterben müsse. Folglich müssten Lockerungen eingeführt werden, auch wenn diese ein erhöhtes Risiko mit sich bringen. Leider sind Binsenweisheiten, wie die, der Endlichkeit des Lebens, an dieser Stelle wenig zielführend und lassen inmitten einer gewissen Untergangsstimmung fragen, ob es dann nicht besser wäre, die verbleibende Zeit der bisherigen Ordnung kräftig Party zu feiern- als sich um den langfristigen Erhalt unserer Gesellschaft zu mühen.
Mit wachsender Wahrscheinlichkeit werden wir in den nächsten Wochen erleben, wie das Recht auf Leben im schlimmsten Fall von der Triage bedroht wird und die Wirtschaft am Boden liegt. Aber Hauptsache, wie haben dazwischen mal wieder kurz ein paar Tattoos gestochen, die Haare geschnitten und die Nägel lackiert, während bei unserem Lieblingsitaliener um die Ecke auf Großbildschirm die Bundesliga vor leeren Rängen spielt…
Gehen wir lieber als feiernde Totentänzer oder als um Zukunft ringende Kämpfer in diese neue Phase der Pandemie?
Nüchtern betrachtet: Wer für einen vorübergehenden, verlängerten Shutdown und eine stärkere Eindämmung plädiert, schützt beides: Leben und Wirtschaft. Auch unser Grundgesetz sieht die Grundrechte in einem einheitlichen Kanon. Wir sollten daher nicht zulassen, das Grundrechte gegeneinander ausgespielt werden.
Tim Behrensmeier - 10:26:14 @ Grundgesetz im Gespräch